Das
Handbuch
für alle, die professionell schreiben
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von Yvonne Goldammer, Sprachberaterin
Als ich im ersten Semester Germanistik studierte, bat eine Dozentin alle Erstsemester darum, einen Fragebogen auszufüllen. Es ging um Fälle wie „mit langem blondem/blonden Haar“ oder „bei schönem, sonnigem/sonnigen Wetter“. Wir kamen ziemlich schnell ins Schleudern und wussten am Ende gar nicht mehr, was richtig und was falsch sein sollte. Heutzutage, nach der Rechtschreibreform, ist das einfacher geworden: Wenn mehrere Adjektive aufeinanderfolgen, werden sie immer parallel gebeugt. Das heißt, alle haben die gleiche Endung. Wir schreiben: „mit dunklem, lockigem Haar“, oder: „ein schöner großer Baum“. Aber weshalb machen wir uns beim Dativ Singular Maskulinum bzw. Neutrum überhaupt Gedanken über die Endung?
Eigentlich ist die parallele Flexion mehrerer Adjektive der Normalfall. Niemand käme heutzutage auf die Idee, „eine große, unbändigen Freude“ zu schreiben. Zur Zeit der alten Rechtschreibung gab es jedoch zwei Ausnahmen von dieser Regel. Falls Sie sich zu Recht fragen, was die Adjektivflexion mit Rechtschreibung zu tun hat, sei Ihnen gesagt: streng genommen nichts. Aber dies war der einzige grammatische Fall, der im Zuge der Rechtschreibreform geändert wurde – sozusagen in einem Abwasch.
Diese Ausnahmen bezogen sich zudem nur auf Adjektive, die nicht durch ein Komma voneinander getrennt waren. Das fehlende Komma bedeutet, dass das zweite Adjektiv mit dem Substantiv eine enge Einheit bildet, zum Beispiel: „sein tiefer christlicher Glauben“.
Standen nun diese Adjektive im Dativ Singular oder im Genitiv Plural, so erhielt das zweite die (schwache) Endung -en. Das erste Adjektiv behielt die starke Endung bei. Also hieß es: „in tiefem christlichen Glauben“. Leider war die Sache nur für zwei Adjektive geregelt. Drängelten sich drei oder gar vier Adjektive vor dem Substantiv, würfelten die Schreibenden die Endungen wie wild durcheinander.
Nun ist es zwar theoretisch einfacher geworden, da wir nun alle Adjektive vor einem Substantiv parallel flektieren – ob mit Komma oder ohne, ob im Dativ, Genitiv oder Akkusativ. Doch womöglich muss diese Regel irgendwann wieder revidiert werden. Denn: Der Trend geht im Deutschen weg vom m in Endungen. Der Grund dafür liegt vermutlich in der Sprachökonomie. Ein -en lässt sich nun mal leichter aussprechen als -em. Deshalb sagen wir schon lange „Boden“ und nicht mehr „Bodem“. Mehrere m hintereinander empfinden viele Menschen als ausgesprochen unangenehm. In der Sprachberatung muss ich mich manchmal vehement für Formen wie „einsamem“ oder „unangenehmem“ einsetzen, damit mir die Anrufer überhaupt glauben, dass es sie tatsächlich gibt. Was nun die -en-Endung bei den Adjektiven im Dativ Singular angeht: Sie wird durchaus noch verwendet und die Dudengrammatik zum Beispiel lässt sie auch zu – allerdings empfiehlt sie sie nicht. Von daher kann es gut sein, dass der Sprachgebrauch die Grammatikschreiber bald dazu zwingt, in diesem Fall wieder Ausnahmen von der Parallelflexion zu formulieren. Warten wir es ab – und beugen wir erst mal parallel weiter.